Wir haben den Autor dieses Textes auf einer Laborveranstaltung kennengelernt und waren sofort hin und weg, mit welchem Humor und Scharfsinn er uns unser Produktportfolio um die Ohren gehauen hat. Jetzt hat er seinen Wortwitz auf der Abendveranstaltung unseres Labor Fachsymposiums nochmals unter Beweis gestellt. Wir wollen Ihnen das nicht vorenthalten. Lehnen Sie sich zurück. Schmunzeln erlaubt.
J'adore Labor
Ich habe es von einem Bekannten erfahren. Ich wusste überhaupt nicht, dass es so etwas gibt, dass die Möglichkeit dazu besteht und dass sich jemand die Mühe gemacht hat, diese Möglichkeit zu schaffen. Mit Dating kenne ich mich aus, das war für viele Jahre mein Hobby und Zeitvertreib, ich habe alle Apps, ich weiß Bescheid. Dachte ich. Aber das, wovon mir mein Bekannter erzählte, war völlig neu für mich und weckte meine Neugier. Also probierte ich es aus. Ich ging zu Speed Dates mit Unternehmen. Was soll das denn sein, fragen sich die Zuhörenden jetzt, und deshalb erkläre ich es: Das sogenannte Company Speed Dating läuft quasi genauso ab wie Speed Dating mit Leuten aus Fleisch und Blut. Aber dann doch ein bisschen anders.
In einem prunkvollen Raum im hippen Berlin-Mitte, an dessen LED-Wänden die Börsenticker und News durchlaufen wie am Times Square, setzt man sich für 5 Minuten zu einem Unternehmen an den Tisch, man beschnuppert sich ein wenig gegenseitig, stellt sich Fragen und macht sich so bekannt. Meine bisherigen Erfahrungen dabei sind, sagen wir's mal so, ein wenig durchwachsen:
Als Erstes setzte ich mich zu Tesla, blieb aber nicht lange, denn Tesla fing ohne Genehmigung an zu baggern.
Weiter ging es mit DHL, die taten aber so, als sei ich gar nicht da und gaben eine Karte für mich am Nachbartisch ab.
Auch mit der Deutschen Bahn war ein intensives Kennenlernen schwierig, denn sie kam zu spät. Und dann war Personalwechsel und wir mussten alles nochmal bereden.
Wirecard erzählte abenteuerliche Geschichten aus Asien und verschwand plötzlich.
Google verlangte zur Begrüßung einen Beweis dafür, dass ich kein Roboter sei und forderte mich auf, auf alle Fahrräder im Raum zu zeigen.
Facebook erwischte ich mitten in einer Identitätskrise. Es stritt vehement ab, überhaupt noch Facebook zu heißen und phantasierte über eine virtuelle Parallelwelt, in der wir alle schon bald erfüllt und glücklich interagieren und vor allem shoppen würden, ohne überhaupt das Haus zu verlassen. Naja.
Und dann gab es noch ein paar mehr Enttäuschungen:
McDonald's stank nach altem Fett, hatte sich aber das Gesicht in einem frischen Grün geschminkt.
Primark wechselte jede Minute sein Outfit, weil das alte auseinander fiel.
Karstadt schien etwas arg im Gestern verhaftet und erzählte ausschließlich Geschichten aus der Vorwendezeit.
Irgendwie klickte es nicht so richtig zwischen all denen und mir. Ich war drauf und dran, wieder nach Hause zu gehen. Da sah ich, den Mantel schon übergeworfen, ein handgefertigtes, hölzernes Hinweisschild, das in einen unscheinbaren, uneinsichtigen Nebenraum wies. HIDDEN CHAMPIONS war darauf zu lesen. Ich folgte, schob einen dicken, roten Vorhang beiseite und stand in einem vergleichsweise bescheidenen Raum, Innenausstattung Modell Almhütte, viel helles Holz, eine Bauernstube. Die kleinen Tischchen waren besetzt mit adretten, älteren Herrschaften, die mich allesamt mit schwäbischem Akzent begrüßten, ihre Käsespätzle beiseite schoben und mich zu sich an die Tische baten.
Eine etwas schrullig wirkende, ältere Person mit zu Berge stehenden Haaren und volltransparenter PVC-Schutzbrille erregte mein Interesse, ich schätzte sie mit Kennerblick auf etwa ... 114. Und setzte mich. Das nächste Speed Date konnte beginnen:
„Hallo, mein Name ist Ritter. Christian Ritter. Wer sind Sie denn?“
„Waldner, angenehm, brauchen Sie was?“
„Was ... was sollte ich denn brauchen?“
„Fehlt Ihnen irgendwas in ihrem Labor?"
„Also eigentlich …"
„Ich hab alles da! Alles, was das Laborantenherz begehrt. In Sachen Labormeublement macht mir keiner was vor. Labortische, Laborschränke, Laborspülen, Laborsalatbesteck, Laborliebesschaukel, Laborchaiselongue zum drauf Ausruhen danach, oder die beliebte Laborsitzgruppe "grader Rücken"? Und wissen sie was? So richtig gemütlich kann's für uns beide unter meiner Mediendecke werden. Hnhnhn. Sie verstehen?“
„Ähm, ja, danke. Da gibt’s nur ein kleines Problem, ich hab gar kein Labor.“
„Grundausstattung also. Perfekt. Ich plan Ihnen da was zusammen. Und wenn aus dem Labor später ein Büro oder das Kinderzimmer werden soll: ich bin flexibel für Veränderungen. Unter uns: Ich hab'n bisschen Erfahrung in der Materie. Ich kann Ihnen in jedes Kabuff nen Reinraum einbauen. Ich setz Ihnen mal eben den Kostenvoranschlag auf, ja? Warten Sie kurz. Glas Milch vielleicht, von der Allgäuer Kuh?"
„Ja gern."
„Ich hätte auch noch was anderes für Sie. Ich hab da noch so'n paar tausend Milchkannen rumstehen, von früher, wissen Sie. Wollen Sie da eine haben? 1A-Dekoobjekt, darf in keiner lichtdurchfluteten Altbauwohnung fehlen. Macht sich auch super in Ihrem neuen Labor."
„Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber: Kann es sein, dass Sie vielleicht so ein bisschen inselbegabt sind? Sie reden immer nur von ... Laboren."
„Dazu sag ich nur eins: Labore mi amore! J'adore Labor!"
„Das war jetzt eins mehr als eins. Sagen Sie mal, wir wollen uns ja ein bisschen besser kennenlernen, was machen Sie denn in Ihrer Freizeit, so ganz laborunabhängig?“
„Da geh ich spazieren, mit meinem Labrador."
„Aber nicht im Labor?"
„Nee, davor. -- Wissen Sie, bei mir war es schon immer so: Was mir am meisten im Leben gefiel, war auf jeden Fall steril. Also wird das jetzt was mit uns beiden und Ihrem neuen Labor oder ..."
„Ich weiß nicht. Wenn ich ehrlich sein darf: Sie erscheinen mir nicht so recht, wie soll ich sagen, farbenfroh.“
„Farbenfroh, farbenfroh. Bei uns im Labor ist jeden Tag White Party! Manchmal auch Anthrazit- oder Nussbaum-Party, wenn wir's richtig krachen lassen. Da vibriert dann sogar der Wägetisch."
"Das kann ich mir jetzt so ... gar nicht vorstellen."
„Ich glaub, Sie unterschätzen uns. Kennen Sie den Partyhit Laboranten aufgestanden?"
„Nee."
„Gibt's auch nicht. Wissen Sie, wenn wir mal richtig Spaß haben wollen, wir Laborleute, dann ziehen wir uns auf so ein Berghotel im Allgäu zurück, eine Stunde vom nächsten Bahnhof entfernt, sodass man sich auf der Anreise mehrmals fragt, ob der Taxifahrer einen vielleicht falsch verstanden hat oder einen grade nach Liechtenstein entführt, und wenn wir dann da angekommen sind irgendwann, in unserem abgeschiedenen Berghotel, dann reden wir zwei Tage lang über Agilität."
„Das stell ich mir durchaus spannend vor."
„Agilität im Labor."
„Natürlich."
„Und drumherum. Zum Beispiel bei der Laborplanung."
„Ahja."
„Aus mehreren Perspektiven reden wir da über Agilität. Das ist ein agiler Austausch über Agilität. Ich lasse mich sogar dazu hinreißen zu sagen: der Austausch ist nicht nur agil, er ist agilst! Auf unserer agilen Agenda haben wir zum Beispiel "Agiles Arbeiten", "Architektur und Agilität", "Agilität und Ananassorbet", ja das geht bis hin zum Thema "Was ist Agilität überhaupt?" Später um Mitternacht kommt dann noch der Wangener Feuerwehrkommandant vorbei und hält einen Impulsvortrag mit dem Titel "Agilitätärätätä". Und dann bauen wir einen Löschzug aus Lego. Einen agilen Löschzug!"
„Diese Agilität, von der Sie da reden, ist die jetzt grade mit uns im Raum?"
„An Ihrem agilen Mindset müssen Sie noch ein bisschen arbeiten, Herr Ritter. Das sollten Sie als Experiment begreifen. Und wo macht man Experimente am besten?"
„Im Labor?"
„Richtiiiig. Ach, ich liebe es einfach, mich über Labore auszutauschen. Wissen Sie eigentlich, was in der Laboreinrichtung das allerwichtigste ist?“
„Hm?“
„Der perfekt geplante Abzug. Den mach ich jetzt. Wiedersehen!“
21. Dezember 2022 um 09:21
Ein sehr gelungenes, intelligentes und durch und durch witziges Beitrag!
10 Punkten von 10
Danke für die Weiterleitung.