Eine alte Liebe bekommt Zuwachs
Wie es zum Milchpilze Remake kam: Mit der Landesgartenschau 2024 bekommt der beliebte Milchpilz-Kiosk gleich drei Geschwister und weckt bereits landesweit Interesse. Doch ohne die „Geburtshilfe“ eines findigen Konstrukteurs bei Waldner wäre es fast nicht dazu gekommen.
Manch Wangener mag sich verwundert die Augen gerieben und gefragt haben, ob er doppelt sieht. Denn plötzlich war neben dem 70 Jahre alten stadtbekannten Milchpilz am Festplatz ein zweiter aus dem Boden geschossen. Auch er sieht aus wie ein fröhlicher, über vier Meter großer Fliegenpilz, leuchtend weiß mit weißgepunktetem rotem Dach.
Wer sich ihm neugierig näherte, sah gleich, dass hier Eintrittskarten für die Landesgartenschau verkauft wurden. Und diese ist auch der Grund, warum sich der beliebte Milchpilz so plötzlich vermehrte. Besucher der Landesgartenschau werden entdecken: Es gibt nicht nur einen weiteren, sondern insgesamt gleich drei neue Milchpilze, die mit und auf der Gartenschau gewachsen sind.
Der Milchpilz als Wangener Original
„Als wir in die Planung der Landesgartenschau einstiegen, waren wir auf der Suche nach besonderen Schätzen, außergewöhnlichen Elementen aus Wangen und dem Allgäu, um einen einzigartigen Park für Wangen zu entwickeln“, erklärt Katharina Bernt. Sie ist Landschaftsarchitektin, Mitarbeiterin der Landesgartenschau GmbH und war von Anfang an in die Planung involviert. „Und da sind wir schnell auf den Wangener Milchpilz gestoßen. Wenn wir mit den Menschen vor Ort sprachen, hatte fast jeder sofort eine schöne Geschichte zu ihm parat. Uns war schnell klar, der Milchpilz ist das Wangener Original, das wir auf der Landesgartenschau haben wollen.“ Wie sehr der Milchpilz mit guten Erinnerungen verknüpft ist, bestätigt auch der Wangener Oberbürgermeister Michael Lang: „Die Milchpilze waren ein sehr populäres Wangener Produkt in der Zeit des Aufschwungs nach dem Krieg. Für die Wangener ist der Milchpilz seither Treffpunkt. Und er zaubert vielen Menschen ein Lächeln ins Gesicht. Diese Rolle sollen die neuen Milchpilze auch jetzt wieder übernehmen.“ Karl-Eugen Ebertshäuser, Geschäftsführer der Landesgartenschau Wangen i.A. GmbH ergänzt: „Wir haben den Anspruch, dass jede Landesgartenschau einzigartig sein soll und der Milchpilz trägt als Wangener Original dazu bei.“
Der Pilz-Kiosk als „Milchverbrauchswerber“
Ursprünglich diente der knuffige Pilz der Firma Waldner als Marketingobjekt für Milch, als so genannter „Milchverbrauchswerber“. In ihm konnten die Besucher Milchshakes und -eis kaufen, später auch kleine Süßigkeiten. „Ich finde es bemerkenswert, dass eine Gestaltung von 1952 immer noch so schön und zeitlos ist. Das war von Anton Waldner einfach eine geniale Idee“, ist Katharina Bernt beeindruckt: „Über den Pilzkiosk Werbung für Milch machen, damit die Milchwirtschaft ankurbeln – die dann wieder Tanks und Behälter von Waldner benötigt.“ Und da das Allgäu eng verknüpft mit der Milch ist, gehört für sie natürlich auch der Milchpilz dazu und somit auf die Landesgartenschau in Wangen. „Die Firma Waldner ließ in den 70er Jahren auch einen Milchbus auf das Gelände der damals noch aktiven Wangener Baumwollfabrik ERBA fahren, damit jeder Mitarbeiter ein Glas Milch bekommen kann. Und das ERBA-Areal ist heute wichtiger Bestandteil der Landesgartenschau – der Kreis schließt sich.“
Altbekanntes Aussehen, neue Konstruktion
Doch fast wäre es gar nicht zu den Milchpilz-Drillingen gekommen. Denn alles, was in den Archiven der Firma Waldner noch vorhanden war, waren Bilder und die Innen- wie Außenmaße. Aber wie genau die Konstruktion des Milchpilz-Kiosk aussah, davon gab es keinerlei Unterlagen mehr. In einer ersten Reaktion musste Waldner daher passen. Doch Herbert Scherer ließ das Thema keine Ruhe. Er ist Leiter der Konstruktion bei Waldner Laboreinrichtungen und eine Aussage wie, „das geht nicht“, reizt ihn einfach, es doch möglich zu machen. Die Lösung kam zu ihm wie der legendäre fallende Apfel zum englischen Physiker Isaac Newton: Er blickte vom Wohnzimmersofa entspannt nach oben und entdeckte in der darüber hängenden Lampe die Konstruktionsmöglichkeit: „Die Lampe hatte eine bestimmte Holzkonstruktion – das sah ähnlich aus wie beim Schiffsbau die Spanten im Rumpf. Da wusste ich: so könnten wir das beim Milchpilzdach und -stil auch machen“, erzählt er rückblickend.
Doch Herbert Scherer wäre nicht der Konstrukteur der er ist, wenn er nur den Milchpilz nachkonstruiert hätte. Beim Planen fielen ihm gleich einige Verbesserungen ein: „Zwar sind die Abmessungen gleichgeblieben, 4,20 Meter hoch und 4,80 Meter Durchmesser. Und selbstverständlich hat er nur zwei Farben, rot und weiß,“ erklärt er. „Aber aus dem früheren Fünfeck des Pilzstils, in dem der Kiosk sich befindet, habe ich nun ein Sechseck gemacht. Dadurch ist er runder. Und das hat zum einen den Vorteil, dass nun der Innenraum symmetrisch teilbar ist, zum anderen haben wir dadurch innen mehr Platz“, sagt er schmunzelnd. Dadurch ergeben sich allein drei Elemente für einen Ausschank mit kleinem Tresen. Ein Element ist für die Eingangstür, eines für den Kühlschrank oder Schrank und eines für ein Spülbecken mit Platz für ein Regal darüber und kleiner Glasfläche mit Blick nach draußen. „Auch nach oben hin haben wir über eine Zugtreppe zum Entklappen eine leicht zugängliche Lagerfläche direkt unter dem Pilzhut geschaffen“, berichtet der Konstrukteur. Selbstverständlich hat er auch in puncto Haltbarkeit Verbesserungen vorgenommen: Statt der vor 70 Jahren verwendeten Ballonseide, schmückt nun eine witterungsfeste rote Plane mit weißen Punkten das Dach. „Das ist kein Gartenhäusle aus dem Baumarkt, sondern hat wie alles von Waldner Hand und Fuß“, sagt Herbert Scherer nicht ohne Stolz. Er fühlt sich auch beim Milchpilz dem Qualitätsanspruch von Waldner verpflichtet.
Produktion mit moderner Technik
Im Gegensatz zu damals konnte der Pilz aber nicht einfach in einer betriebsinternen Schreinerei per Hand gefertigt werden. Bei Waldner Laboreinrichtungen laufen inzwischen die meisten Abläufe automatisiert und über CNC-Maschinen. Andererseits: Dank der modernen Technik konnte Herbert Scherer einen ersten kleinen Prototyp per 3D-Druck erstellen und dem Team der Landesgartenschau vorstellen. „Die waren sehr begeistert und erleichtert, weil sie ab dem Zeitpunkt wussten: Waldner realisiert deren Idee wirklich“, berichtet Herbert Scherer. Wie viel Zeit es dann insgesamt dauerte, hat ihn selbst überrascht. „In dem Pilz stecken einige Konstruktionsstunden“, berichtet er und erklärt: „Für die Fertigung musste die CNC-Maschine erst einmal programmiert werden. Und die Maschine selbst läuft dann fast 40 Stunden.“
Was ihn sehr gefreut hat: Seine Leidenschaft für den Milchpilz traf im Betrieb auf große Resonanz. „Jeder wollte mitmachen.“ Auch bei den Lehrlingen war das ungewöhnliche Bauprojekt gefragt und selbst vom Stephanuswerk, einer sozialen Rehabilitationseinrichtung in Isny, konnten zwei Praktikanten mitarbeiten. Herbert Scherer selbst wird seither in der Firma scherzhaft „Mr. Milchpilz“ genannt.
Langlebige Verwendung geplant
Das Engagement des „Milchpilz-Teams“ hat sich gelohnt. Wangens OB Michael Lang freut sich: „Ich bin Waldner sehr dankbar, dass sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hat.“ Inzwischen stehen die drei frischen Milchpilze bunt verstreut auf dem gesamten Areal der Landesgartenschau. Der erste befindet sich in Nachbarschaft zum alten Milchpilz am „Eingang Festplatz“ zur Landesgartenschau. Ein zweiter Milchpilz erstrahlt im Sportpark. Der dritte fand seinen Platz auf der Argenwiese neben dem Wasserspielplatz und der Fläche für die Landfrauen. Ganz in der Nähe grast auf einer Wiese das Allgäuer Braunvieh – das passt zum Milchpilz.
Auch nach der Landesgartenschau gibt es schon verschiedenste Ideen zur Nachnutzung. Für den ersten hat sich bereits das Wolfegger Bauernmuseum gemeldet. Der zweite, im Sportpark Gehrenberg, könnte später unter anderem den Vereinen für die Bewirtung und gastronomische Nutzung bei Heimspielen zur Verfügung gestellt werden. Und der Milchpilz in der Nähe vom Wasserspielplatz steht schon jetzt direkt am Donau-Bodenseeradweg und wird vielleicht zukünftig vorbeikommende Radler, durstige Familien vom Spielplatz und andere Besucher erfrischen.
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